Anlage:Lokomotive Kreuzberg

Aus Rockinberlin
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Text aus dem Booklet von Kraut! Teil 4[Bearbeiten]

Der “gemeinsame politisch-musikalische Weg fünf linker West-Berliner begann im Januar 1972 konkrete Formen anzunehmen, als sie das Polit-Rock-Kabarett Lokomotive Kreuzberg ins Leben riefen“ (ROCK IN DEUTSCHLAND). Die meisten Musiker hatten vorher in “gewöhnlichen Popgruppen gespielt, während einer von ihnen (Brauer) Opernsänger war. Das war ihnen nicht genug. Sie wollten die Gesellschaft verändern“ (COVER TEXT). Bis zu ihrer Auflösung tourte die, eng mit den Gewerkschaften verbundene, Gruppe immer wieder intensiv durch Deutschland.

Als Amateure produzierten Bauer, Hiemann, Holz, Powalla und Scherfling die Titel “Deutsch-Amerikanisches Volksfest“ und “Kollege Klatt“. Die “gesammelten Sprechgesänge, Blues-Balladen und Rock-Passagen“ (ZITTY) der Berliner Gruppe wurde ab Ende des Jahres vom “Pläne-Verlag“ als LP auf den Markt gebracht. Das Quintett veröffentlichte die Geschichte des Kollegen Klatt am Ende des Jahres als Album “Kollege Klatt – Rock Story“. Klatt war so einer, “der jeden Tag zum Malochen stiefelt und abends kaputt in seine kalte Küche kommt und erkennt, dass er für seine Zukunft kämpfen muss. Er wird aktiv und organisiert sich“ (COVER-TEXT). Zur Jahreswende 1972/1973 wechselte die Band in den Profi-Bereich. Lokomotive Kreuzberg bezeichneten sich per Pressemitteilung als “Rock 'N' Roll Theater“, denn bei der “Zielsetzung, Elemente der Rock- und Blues-Musik mit Straßentheatermitteln für ein konkretes politisches Engagement einzusetzen, gab es nichts zu lachen“ (ROCK IN DEUTSCHLAND).

Auch das nächste Programm der Gruppe enthielt keinerlei verschlüsselte Botschaften. Das dazugehörige Album “James Blond - Den Lohnräubern Auf Der Spur“ war ein “gespielter Comic Strip, der sich in winzigen Häppchen zwischen die musikalischen Nummern schob und die jeweils folgenden Songs thematisch vorbereitete“ (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG). Die Texte, verfasst von Sänger Scherfling, stellte betriebs- und wirtschaftspolitische Zusammenhänge bewusst vereinfacht dar. Das war eine “reichlich einfältige politische Kinderstunde, mit ungeheuer klaren Verhältnissen: Kapitalisten waren böse, Arbeiter waren gut“ (STEREO). Die Musik fand dagegen ungeteilte Zustimmung. “Gehörte die Musik zur ganz unpolitischen Texten, müsste man die Berliner Gruppe dennoch zur bundesdeutschen Pop-Creme zählen“ (WAZ). Das Album enthielt “originelle Musik, hervorragend dazu geeignet, eine Botschaft zu transportieren“ (ZEIT). Vor dem Album, im Frühjahr 1973, hatte der gelernte Schriftsetzer Manfred Praeker (voc, b, g, perc) den ausgeschiedenen Bassisten Powalla ersetzt. Zum Ende des Jahres verließ auch Gitarrist Hiemann Lokomotive Kreuzberg und wurde durch Uve Müllrich (g) ersetzt. Bereits nach sechs Monaten wechselte Müllrich zu Embryo. Für ihn kam Bernhard Potschka (g, voc).

Aus gegebenem Anlass (US-Intervention, Sanktionen der USA, Versuchter Miltärputsch gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende) produzierte Lokomotive Kreuzberg die Chile-Solidaritäts-Single “Hey Mister Amerika“ / “Chile 73“, von der für jede verkaufte Platte, je 1,- DM auf ein Chile-Solidaritätskonto überwiesen wurde. Es folgte eine Auftragsarbeit für den Christian Ziewer-Film “Schneeglöckchen Blühn Im September“ (mit Claus Eberth, Wolfgang Liere, Gerhard Konzack u.a.), bei dem der Arbeitskampf einer Akkordkolonne in einem großen deutschen Industriebetrieb und seiner Belegschaft vor dem Hintergrund der "Septemberstreiks" in der damaligen BRD geschildert wurde. “Es ging um Tarifkämpfe, Auseinandersetzungen um Teuerungszulagen, sinkende Löhne, wirtschaftliche Nöte und solidarisches Handeln“ (FILMPORTAL). Danach startete die Gruppe im Herbst 1974 mit dem neuen Programm “Menschen, Mäuse Und Moneten“, das sich mit dem “Zusammenspiel skrupelloser Geldmacher, korrupter Politikern, doppelzüngiger Parlamentarier und den Leidtragenden“ (PRESSETEXT) beschäftigte.

Das 75er Album “Fette Jahre“ zeigte, dass Lokomotive Kreuzberg wohl Deutschlands musikalisch perfekteste Polit-Rock-Band war. Die LP wurde mit Conny Plank in dessen Studio Anfang des Jahres eingespielt. Ihre “herbe – und zumeist ironisch formulierte – Gesellschaftskritik war nahtlos mit ihren Rock-Melodien verwoben. Die Gruppe knüpfte damit stilistisch an die Arbeiten der Band Ihre Kinder an“ (ROCK IN DEUTSCHLAND).

In ihrem letzten Album “Mountain Town“ (1977), verpackte die “am meisten unterschätzte deutsche Rockgruppe“ (BWZ), die Formel “Wer die Macht hat, hat Recht“ in eine Westernballade. Andere Themen von Lok Kreuzberg, wie sie sich jetzt verkürzt nannten, waren die “77er Tagesthemen: ein Redakteur im Dienste von Axel Cäsar Springer, der Tod in einer radioaktiven Wolke, Akkordarbeit und morgendliche Spiele unter der Bettdecke“ (ROCK IN DEUTSCHLAND). Vorher hatte der Österreicher Herwig Mitteregger (dr) den Platz des Mitgründers Uwe Holz übernommen, der nur noch als Sänger und Percussionist dabei war. Als Gäste wirkten Ack van Rooyen (horn)(ex-Niagara, -Curt Cress Clan), Wolfgang Dauner (p)(Et Cetera) und Marianne Langfeld (voc)(Zeitgeist) mit. “Bitte einsteigen, die Türen schließen: Lok Kreuzberg fährt uns direkt in die frühen 70er - vorbei an Studenten-WG's, Demonstrationen und Ho-Chi Minh-Rufen. Wie die linksorientierten Deutsch-Rocker Ton Steine Scherben und Floh de Cologne nahmen die Kreuzberger Politik und Zeitgeist unter Beschuss. Biederer Krautrock und moralinsaure Betroffenheit war ihnen fremd. Stattdessen böse Kommentare zu Bestechungsskandalen, Verfassungsschutz und Vietnamkrieg“ (AUDIO).

Nach einem Konzert im Hamburger “Audimax“, Anfang Dezember, war bei Lokomotive Kreuzberg der “Dampf raus“ (ROCK IN DEUTSCHLAND) und die Gruppe löste sich, auch aus finanziellen Gründen, auf. Bernhard Potschka, Manfred Praeker und Herwig Mitteregger kamen, gemeinsam mit Reinhold Heil (key, voc)(ex-Bakmak) und der ehemaligen DDR-Sängerin Nina Hagen als Nina Hagen Band zu großem Erfolg. Ab 1980 waren die vier Musiker, ohne Hagen, als Spliff, noch erfolgreicher.

Das, im Herbst 1978 veröffentlichte erfolgreiche Rock-Theater-Stück “Count Down“, hatte es auf 120 Aufführungen im “Theater Am Turm“ in Frankfurt/M gebracht. Für die Album-Veröffentlichung “TAT Count Down Rockmusical“ zeichneten die Lokomotive Kreuzberg-Gründer Karl-Heinz Scherfling (Text) und Andi Brauer (Musik) verantwortlich. Als Mitmusiker agierten Dave Sprung (b)(The Michael Wynn Band), Charles Esposito (dr)(Only Child), Claus Burkard (g), Heinz Kühne (g)(Galaxy), Lutz Köhler (voc, key, fl), Karsten Gaul, Marlene Dittrich, Ursula Lillig, Uwe-Karsten Koch und Willi Lieverscheidt (alle voc).

Manfred Praeker starb im September 2012 in Berlin

Burghard Rausch : aus Kraut! - Teil 4, erschienen bei Bear Family Records, Best.-Nr. BCD17624


Artikel[Bearbeiten]

Artikel im Blickpunkt Zum Ende der Band.

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